Montag, 19. Februar 2007

Von gruenen Ecken und bunten Strassen

Montag, spaet am Abend


Shibuya. Mittag.
Die Sonne steht hoch.
Vor mir die beruehmteste Kreuzung Japans.
Noch steht die Ampel auf Rot. Es knistert in der Luft.
Jeden Augenblick kann es los gehen.
Jeder scheint bereit, sein Ziel mit aller Kraft zu erreichen.
Nur noch Sekunden. Irgendwo hoert man einen Schrei.
Dann ist es soweit. Die Strasse ist freigegeben.
Einer Urgewalt gleich rollen menschliche Wellen aufeinander zu. Aus 3, 4 verschiedenen Richtungen suchen sich Dutzende von Japanern gleichzeitig einen Weg ueber die Strasse. Vorbei am zweiten Herrscher dieser Gegend, der Blechlawine. Die hat gerade Sendepause. Das Ampellicht beginnt zu blinken. Schnell eilen die letzten Fussgaenger auf die andere Seite. Es wird Rot. Dann ist wieder monotones Motorendroehnen zu vernehmen, waehrend sich auf dem Fussweg erneut die Meute sammelt. Bereit fuer die naechste Welle...

Shibuya, das ist eine der Gegenden, die das Bild des modernen Japans im Ausland praegen. Neonwerbung, buntes Glitzern der teuren Einkaufswelt, schicke Cafes, Spass. Ich war heute unterwegs in der Innenstadt Shibuyas, einem Viertel Tokios, und hab mir selbst ein Bild gemacht. Kaisei war beschaeftigt und so war heute meine erste Solotour angesagt. Mit der Bahn hatte alles gut geklappt (ich hab eine Woche gebraucht, aber mitlerweile wuerde ich sagen, dass ich fast ueberall hinkomme, wo ich mag) und so stand ich kurz darauf oberhalb des Bahnhofs an der Statue Hachiko. Hachiko, beruehmter Japanischer Kaiser? Gruender Shibuyas? Hundertwasser Japans? Alles falsch. Hachiko war ein Hund. Ich darf meinen Reisefuehrer zitieren:

Das Tier gehoerte dem Professor Eisaburo Ueno und begleitete seinen Herren allmorgendlich zum Bahnhof Shibuya in Tokio; von dort fuhr der Professor zu seinen Vorlesungen. Jeden Abend holte Hachiko seinen Herrn wieder am Bahnhof ab. Als nun Professor Ueno 1925 starb, lief Hachiko weiterhin jeden Morgen zum Bahnhof und wartete dort bis zum Abend, Tag fuer Tag, elf Jahre lang, bis er selbst an Altersschwaeche starb. Der treue Hund wurde im Grab seines Herrn beigesetzt, und die Behoerden errichteten ihm ein Denkmal auf dem Bahnhofsvorplatz in Shibuya. (Gerhard Dambmann, 2002, Gebrauchsanweisung fuer Japan, Muenchen: Piper)

Schoene Geschichte, oder? Von dort aus ging es in mehrere Richtungen hinein in das geschaeftige Treiben. Von Musiklaeden ueber Edelrestaurants bis hin zu Modeboutiquen findet sich alles, was der ueberwiegend juengeren Bevoelkerung hier Geld entlocken kann. Ich war unter anderem in einer Spielhalle voller Automaten. Nein, ich habe nichts gespielt. Ja, es hat nicht viel gefehlt. ;) Dem geschaeftigen Treiben auf den Strassen zuzusehen hat Spass gemacht und wer Geld hat, wird es hier, gleich der Summe, los.







Irgendwann ist es mir dann ein wenig zu eng geworden (eigentlich mag ich solche dichten Menschenmenge gar nicht; ich finde aber, bis jetzt halte ich mich gut. Meine deutschen Flueche versteht ja auch niemand... ) und so hab ich dem Yoyogi-Park noerdlich der Einkaufsmeile einen Besuch abgestattet. Meine erste Natur seit 9 Tagen! In den grossen Park ist ein Vogelschutzgebiet intregriert, aber nicht allein deshalb ist es dort alles andere als ruhig. In der Nahe der Strasse roehren Autos und Bauarbeiter, im Park kommt aus allen Ecken Musik. Unter erholsamen Spaziergang verstehe ich etwas anderes, weshalb ich mich zu Anfang auch eher geaergert habe. Nachdem ich aber eine freie Bank zum Sitzen gefunden hatte und mein frisch gekauftes, na ja, nennen wir es mal Milchbroetchen verspeiste, besserte sich meine Laune. Trotz aller Geschaeftigkeit der Besucher hatte der Park etwas. Man konnte ueberall Raben beobachten, welche aus dem nahegelegenen Schutzgebiet, aus dem es aus allen Ecken her kraechzte, heruebergeflogen waren. Von einer Kommilitonin hatte ich erfahren, dass diese Raben keine Scheu vor Essensdiebstahl haben, also ass ich mit entsprechendem Misstrauen. Danach nahm ich den restlichen Park unter die Lupe. Und was ich fand, wurde mit jeder Entdeckung unterhaltsamer. Da war der Geigenspieler, der einsam auf einem umgestuerzten Baumstamm sass. Ich hab vom Geigen keine Ahnung, aber ich wuerde trotzdem sagen, dass er ziemlich gut war. Da waren die drei Bongotrommler, die den halben Park beschalten und mit nicht nachlassendem Elan ihre Instrumente bearbeiteten. Hat mir sehr gut gefallen, fuer sowas bin ich zu haben. Da waren Zwei in einer Art traditionellen Gewaendern gekleideten, ebenfalls mit Trommeln unterwegs und dazu noch eine Art Tanz auffuehrend. Da waren die 4 in weissen Kampfsportanzuegen steckenden Gestalten, die dort ihre Uebungen machten. Kurz zuvor hatte ich bereits einen dieser Vertreter in "Zivil" beobachten koennen, hoch konzentriert bei irgendeiner Art von Schlagkobination.








Im Park befindet sich ausserdem noch der Meiji-Schrein, den ich kurz vor dessen abendlicher Schliessung noch schnell mitgenommen habe. Ueber ihn kann ich nicht so viel erzaehlen, ausser dass es einmal ein besuchendwerter kultureller Ort in Tokio ist.


Gestern meinte Kaisei zu mir, dass ich doch dem Professor, bei dem wir am Samstag den Lesezirkel besucht hatten, doch aus eine Nachricht schreiben sollte, in der ich mich fuer die Moeglichkeit der Teilnahme bedanken und meine Wertschaetzung dieses Erlebnisses ausdruecken solle. Hm, wie formuliert man ein Dankschreiben an einen japanischen Professor? Nachdem ich eine Weile selbst daran gewerkelt hatte, liess ich Kaisei noch ein paar Feinheiten korrigieren (letztendlich waren es nur einige wenige Saetze, aber die wollen eben auch erstmal in angemessender Form formuliert werden) und heute morgen kam dann auch schon Antwort. In astreinem Deutsch. Lustige Sache das.

Morgen ist ein Besuch im Zoo von Ueno geplant. Ausserdem habe ich mich noch zum Nationalmuseum breitschlagen lassen. Letzte Chance dieser Einrichtungen, habe ich doch bis jetzt nicht die besten Erfahrungen damit gemacht.
Bis morgen
Thomas,
Rabenpaparazzo

PS: Fuer Soeren:
Du wolltest doch ein Bild von mir, wo ich mich beim Karaoke zum Affen mache. Kein Problem, hier ist es.


Lieder musste ich waehrend des Singens gleichzeitig noch das Foto machen, so dass du mich leider nicht siehst. Shouganai, ne... ;p

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Haste wiedermal die perfekte Ausrede gefunden, um dich aus der Affäre zu ziehen ^_~. Nja... es sei dir verziehen.

Greetz
Sören
(der sein Blogger-PW verlegt hat -.-)

Anonym hat gesagt…

An Sören: Sei froh, daß er dir keine Tonaufnahme geschickt hat.

An den Blogger:
Ich sehe, du hast das selbe Reiseführer-Buch, wie ich. Lies mal auf den letzten Siten das über DIe koreaner und die anderen Minderheiten und sag mir, ob das stimmt.
Das me

Anonym hat gesagt…

Thomas, mach mir doch bitte ein paar mehr Aufnahmen vom Zoo. Ich bin mehr an den Gehegen, als an den Tieren interessiert.

Gruß,
Karsten

Anonym hat gesagt…

Hallo Thomas,
sorry das ich mich jetzt erst melde...auf Shona gehts echt rund...und Achijo scheint die Fronten gewechselt zu haben...na, neugierig...aber keine Angst, wir leben alle noch. Dromius

Bring doch bitte irgend einen japanischen Käfer (oder auch mehrere) mit für mich. Transport am besten im normalen (NICHT Hand-)gepäck. Sollte eigentlich kein Problem sein. Sebastian

Thomas hat gesagt…

Hm, mal schauen, wo ich hier Kaefer herbekomme.

Fotos gehen klar, Gehege werden quasi auseinandergenommen.

Thomas hat gesagt…

Das mit den Minderheiten stimmt voellig, hab mich mal mit Kaisei druebr unterhalten.

Anonym hat gesagt…

Hallo Thomas,
auch ich melde mich erst jetzt. Echt interessant, so ein Blog. Hab ich gar nicht gewusst, dass es so was gibt!
Ich habe mal recherchiert: Die Raben gehören zur Art "Dschungelkrähe", auf englisch "Jungle" bzw. auch "Large-billed crow", auf wissenschaftlich "Corvus macrorhynchos", und was Dich vielleicht am meisten interessieren wird: auf japanisch heißen die "Hashibuto-garasu". Wie man das im Original schreibt, weiß ich zum Glück nicht. Ich nehme an, dass garasu sowas wie Krähe oder Rabe heißt, vielleicht bedeutet hashibuto sowas wie dickschnäblig? Dschungelkrähen können auf Campingplätzen wahre Verwüstungen anrichten. Sie legen Vorratslager an, in denen sie Fleischstücke horten. Als Sammelstellen kommen dabei auch Abflußrohre, Dachlücken und Fenstersimse in Frage.
Auf ein baldiges Wiedersehen auf Shona,

Lukas

Thomas hat gesagt…

Lukas, dich hier zu sehen... Ich dachte, das geht nur mit einer 20...

Du solltest unter die japanischen Biologen gehen, deine Uebersetzung ist korrekt. Hashi ist der Schnabel,
buto heisst gross und garasu ist die Kraehe. Setzen, 1! :)

Thomas